Eiger Nordwand

Veröffentlicht am 7. April 2025 um 15:24

Vor drei Jahren mit Jil war es die absolut richtige Entscheidung, die Eiger Nordwand in zwei Tagen zu klettern. Das Erlebnis, diese mystische Wand bei Tageslicht zu klettern und darin eine Nacht zu verbringen, hätten wir beide nicht missen wollen. Dennoch, ließ mich der Gedanke nicht mehr los, wie viel anstrengender diese Wand wohl in einem Tagespush ist. Da nun alles passte – Verhältnisse, Wetter, Tourenpartnerin – war es an der Zeit, sich diese Frage zu beantworten.

Facts:

  • Übernachtung in der Nähe der Station Eiger Gletscher (eher heikel)
  • 50 m Einfachseil + Escaper
  • 14 Express (8 normale, 6 verlängerbare)
  • Friends 0.2–1 + 1 Pecker
  • 4 Snickers + 1 Cliffbar
  • 1,5 l PeakPunk Elektrolyte im Camelback (leider ab der Rampe gefroren)

Ski für den unabhängigen Abstieg von der Station zurück zum Terminal

Die Eiger Nordwand im Abendlicht des 6. April 2025

 

Ich werde sanft geschüttelt, Raphaela flüstert mir, ich solle aufwachen. Es ist gerade mal 23:30 Uhr. Nach einem Kaffee und einem Brownie deponieren wir unser Material und laufen vom Eigergletscher aus Richtung Einstieg.
Im 2022 ist es hell gewesen, als wir eingestiegen sind – jetzt ist es dunkel, und so bleibt es noch eine ganze Weile.
Da Nico Hojac und sein Seilpartner am Vortag einen Speedrekord Eiger–Mönch–Jungfrau gemacht haben, wissen wir, dass die Spuren vermutlich ganz gut sind.
Wir steigen stetig hinauf – langsam, um unsere Kraft für den ganzen Tag einzuteilen.

 

Bald stehen wir vor dem schwierigen Riss und warten, während Filippo und Marc zügig diese Stelle überwinden. Ich folge dicht – erstaunt, wie leicht sich diese Passage auch im Dunkeln klettern lässt. Weiter geht’s über das Schneefeld zum Hinterstoisser-Quergang, der mit perfektem Firn belegt ist, dann hinauf zum Schwalbennest und direkt weiter zum ersten Eisfeld. Am Stand vor dem Eisschlauch treffe ich wieder auf Filippo. Als Raphaela am Stand ist, beginne ich zu klettern – eine gemütliche Eiskletterei, bei der man kaum einen Hook selbst schlagen muss. Bald queere ich weiter über das zweite Eisfeld – noch immer mit perfekten Tritten im Firn – hinüber bis zum Stand vor dem Bügeleisen. Raphaela übernimmt den Lead – Mixed, dann wieder Firn, vorbei am Todesbiwak bis zum Start der Rampe. Kurzes Warten, dann geht es die Rampe hinauf bis zum Wasserfallkamin. Diesmal hat es sogar Eis – letztes Mal ist dieser komplett trocken gewesen. Ich nehme mir Zeit, gute Hooks und Tritte zu finden, klettere oft auch mit der Hand und hänge die Geräte über die Schulter. Langsam, aber stetig überwinde ich die Schlüsselstelle und genieße, wie das erste Tageslicht die Wand etwas freundlicher erscheinen lässt. Wie so oft vergeht die Zeit im Dunkeln wie im Flug.

Filippo Sala, ein Bewegungstalent, im Vorstieg des schwierigen Riss, ausgerüstet mit der neuen Eiger 6 Kollektion (Advanced).

Im guten Trittfirn geht’s weiter zum – der Name ist Programm – brüchigen Band. Ab hier kommen wir etwas langsamer voran. Erleichtert geht Raphaela den exponierten Götterquergang vor. Danach durch die Spinne (ebenfalls wunderbare Tritte), hoch in die Rinne bis unterhalb des Quarzrisses. Noch einmal zusammennehmen und Attacke – diesmal klettere ich oben nach rechts weg, da mir die linke Variante beim letzten Mal ziemlich sketchy vorkommt. Klar ist: Es kommt nicht darauf an – beide sind unangenehm.
Die Seilschaft vor uns ist fleißig am Werk – es rieselt Schnee und kleinere Steine.
Raphaela quert zu den Ausstiegsrissen, die ich gar nicht so „lässig“ in Erinnerung habe. Nun heißt es: „duräbissä“. Auf abschüssigen Tritten und hookarmen Felsen stützen wir uns den weiten Kamin hinauf. Irgendwann sehne ich mich nach Schnee oder Eis unter den Füßen und quere leicht rechts hinaus – tatsächlich finde ich ein paar letzte Firnreste. Mixed geht’s weiter, bis uns der erlösende Grat mit herrlichem Sonnenlicht empfängt.Nun noch das eisige Gipfeleisfeld hinauf und dem Grat entlang zum Gipfel.

Der Wasserfallkamin, das bisschen Eis macht die Sache einiges einfacher.

Das Gipfeleisfeld, die Wädlis schreien lauthals.

Ausstiegskamin, typisch abwärtsgeschichteter Kalk.

Müde, aber bei weitem nicht so erschöpft wie vor drei Jahren, genießen wir etwa drei Sekunden den Gipfel und fliehen dann vor der eisigen Bise Richtung Westflanke.Mal rückwärts, mal seitwärts, mal vorwärts steigen wir hinunter. Die Sonne im Gesicht tut gut, die Sonnenbrille, die um keinen Preis anständig im Gesicht bleiben will, etwas weniger. Dennoch kommen wir rasch voran – teils rutschen wir auf dem Po hinunter, um den Abstieg zu beschleunigen. Unterhalb der Seracs beginne ich wie üblich, mit ihnen zu sprechen – sie hätten kein gutes Karma verdient, würden sie uns unter sich begraben, und es sei ihre Chance, zu beweisen, dass sie gütige Seracs sind. Wie bisher funktioniert es auch dieses Mal. Bald stehen wir wieder an der Station Eigergletscher. Es ist etwa vier Uhr.
Wir sind zufrieden. Unser Biwak-Material gepackt, sparen wir uns die 20 Franken für die Bahn und fahren den letzten weißen Streifen Piste nach Grindelwald hinab.

Ich kann, weil ich will, was ich muss.“
– Immanuel Kant

Auch wenn das Müssen hier nur auf einer inneren Verpflichtung beruht, ist es ein wundervolles Gefühl, sich selbst zu beweisen, dass man Dinge schafft, die man bisher nur ehrfürchtig bestaunt hat. Ich komme zum Schluss, dass sich an diesem Tag die Wand nicht anstrengender angefühlt hat als damals in zwei Tagen. Natürlich kommen viele Einflüsse zusammen, aber das Erlebnis, sich in dieser Wand voller Geschichten bewegen zu dürfen, ist in einem wie in zwei Tagen ein unbeschreibliches Privileg.

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