Völlig ausser Atem, überwältigt von meiner Geschwindigkeit, Präzision und der intrinsischen Freude an all diesen Bewegungen in der Vertikalen. Das Halbfinale ist geschafft – und wie! Ich nahm dem Zeitlimit mehr als eine Minute ab, bis ich das Top erreichte. Erleichtert komme ich zu Boden, doch eine gewisse Unmut erfüllte mich, als mich die Chefrichterin der UIAA mit bemitleidendem Blick ansah. Verdammt, was habe ich nun wieder verbockt?, huscht ein Gedanke durch meinen Kopf. Sie erklärte mir, ich sei in ein Loch im Beton neben der Route gestanden. Dazu muss man erwähnen, dass der Eisblock mit den Hooks neben der Route war und die Routenbauer dazu bewusst die Werbeplane zurückgezogen hatten.
All meine Vorsätze, „diesen Wettkampfzirkus nicht so ernst zu nehmen“, verflogen in einem Mal, und ich spürte die Trauer, die Wut, die Enttäuschung in mir aufkommen. Wie kann es sein, dass man eine grossartige Leistung hinlegt, aber disqualifiziert wird, weil man irgendetwas berührt hat, aus dem man absolut keinen Vorteil zieht? Ich fühlte mich bestätigt in der Tatsache, dass diese Wettkämpfe einfach zu absurd für mich sind, da ich mich doch sowieso lieber im alpinen Terrain austobe.

Halbfinalroute WC Saas-Fee 2025, Foto: Sandra Steiner
In den Live Resultaten beobachte ich, wie ich manchmal noch immer als Top aufgelistet war und manchmal verschwunden bin. Ich besprach mich mit dem Trainer, und wir bereiteten einen Einspruch gegen die Disqualifikation vor. Völlig in Rage versuchte ich mich gegenüber Familie, Freunden, Bekannten zu verteidigen, dass ich kein Gewicht auf dem Fuss hatte, der anscheinend im Loch gewesen sei. Doch die Tatsache, dass ich im Loch stand, schien per Video festgehalten.
Doch das Schlimmste ist: Solche Dinge sind keine Einzelfälle. Es werden ständig Einspruchskriege gegen Athletinnen geführt, sobald man irgendwelche potenziellen Unwichtigkeiten wahrnimmt – nur um starke Gegnerinnen aus dem Rennen zu holen. Es ist Sina Götz in Champagny passiert, als sie mit dem Steigeisen unbewusst ein Metallgitter berührte; Celina Bosshard, als sie aus Versehen in ein Schraubenloch stand; einer Athletin, die nach einem dynamischen Sprung durch den Schwung mit dem Fruitboot in einem Drahtseil festhängte – und das sind nur wenige Beispiele. Eines haben sie alle gemeinsam: Es geschah versehentlich, und sie trugen daraus keinen Vorteil.
Also stellt sich nun die Frage: Müssen Routenbauer andere Vorkehrungen treffen, damit solche Dinge nicht mehr geschehen können? Oder sollte die UIAA die Regelungen überdenken?

Nun denn, ich sagte mir ja einst, das Ganze nicht so wichtig zu nehmen – deshalb fahren wir fort. Aus irgendwelchen Gründen wurde ich nicht disqualifiziert. Offensichtlich hätten sonst auch einige weitere Athletinnen dasselbe Schicksal ereilt. Doch meine innere Unruhe zerfrass mich. Ich freute mich zwar aufs Finale, aber die ganze Geschichte, die Unsicherheit, verbrannte viel meiner Energie. Ich ass nicht richtig – und das wohl Schlimmste war: Ich fühlte mich, als hätte ich es nicht verdient, im Finale zu sein, wegen dieses kleinen Fehlers.
Zuerst kämpfe ich darum, diese Ungerechtigkeit anzufechten, und danach, als ich recht bekomme, kann ich das „Glück“ nicht mal mehr annehmen. Soll mir das mal jemand erklären.
Screenshot Livestream UIAA, der Fuss, welcher den Beton berührte.
Dennoch kämpfte ich weiter, verharrte Stunden in der Isolationszone, bis ich als zweitletzte starten durfte. Ich spürte mit jeder Sekunde des Wartens, wie meine Energie von der Nervosität gefressen wurde. Doch nun galt es, das letzte Körnchen zu mobilisieren und alles zu geben.
Ich startete – viel unsicherer, als ich es mir gewohnt war –, vorsichtiger, überlegter, aus Angst, noch einmal einen kleinen Fehler zu machen. Doch bisher lief alles ganz gut, wenn auch nicht im maximalen Tempo. Ich bewegte mich Zug um Zug in die Höhe, bis mich dann in der Figure-Passage mein einschleichender Übermut packte und ich einen kleinen strategischen Fehler machte. Ich liess einen Griff aus und ging direkt zu einem weiteren, der aber schwang – und durch den Schwung hatte ich sichtlich Mühe, den Express einzuhängen. Da verlor ich Zeit. Und trotzdem kletterte ich weiter.
Ab zum Ausstiegsdach, die letzten Griffe – noch immer hatte ich Zeit –, hoch zum Top, hängte den letzten Express ein, das zweite Tool zum Griff – und ich habe es geschafft. Ein Top! Was für ein Gefühl, trotz dem emotionalen Auf und Ab.
Doch wenig später erfuhr ich, dass ich bei weitem nicht die Einzige war mit diesem „Highpoint“. Ganze fünf der acht Finalistinnen erreichten das Top. Ich konnte mich insofern glücklich schätzen, dass ich es als Zweitschnellste geschafft hatte.


Finalroute WC Saas-Fee 2025, links: im unteren Teil der Route, rechts: beim Top, Fotos: Kaspar Kellerhals/UIAA
Doch gewisse Fragen beschäftigen mich immer häufiger; Wieso nimmt man für gewisse Dinge so viele unangenehme Gefühle in Kauf? Einfach um des Kontrastes willen, bis die Erleichterung oder Freude einsetzt? Oder weil man gelernt hat, dass gute Dinge stets hart erarbeitet werden müssen? Ein ziemlich masochistischer Glaubenssatz, wenn man bedenkt, dass Gutes und Schönes wohl eher von ehrlichen Entscheidungen statt Knochenarbeit abhängt.
Neben all den emotionalen Hoch- und Tiefgängen war Saas-Fee 2025 erneut eine wunderbare und lehrreiche Erfahrung. Ich genoss die Zeit mit der Familie, die immer den weiten Weg von Willerzell SZ nach Saas-Fee auf sich nimmt, um für mich da zu sein. Ich freute mich riesig über den Besuch von vielen Freund*innen, die mich in dieser turbulenten Welt der Wettkämpfe etwas mehr zuhause fühlen liessen. Ich lernte zu akzeptieren und das «Glück» einfach anzunehmen. Ich habe gelernt, dass es nicht reicht, sich etwas einzureden, weil Gefühle schlussendlich immer gewinnen. Und das ist gut so. Ich lernte, dass es sowieso niemanden mehr interessiert, sobald der nächste Weltcup abgehalten wird und es sich deshalb umso mehr lohnt, genau im hier und jetzt zu leben. Zudem kann ich sehr dankbar sein für den SAC, dass sie mich – trotz sehr eigensinniger Vorstellungen – an solchen Events starten lassen. Und natürlich ist es immer wieder faszinierend, wie viele Menschen ihre (Frei-)Zeit opfern, um diesen Event zu verwirklichen. So viele großartige Menschen, die den Athlet*innen eine sehr aufwändige Bühne schaffen, sich für einen Moment ganz besonders zu fühlen.
Wer weiss, wie viel Energie ich in der nächsten Saison für diese Spielart übrig habe. Aber eines kann ich garantieren: Egal ob Holz, Fels oder Eis, ich werde mit jeder Faser meines Körpers, die Freude, Lust und jede Bewegung an meinen Eisgeräten so richtig geniessen.
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